“Studien zeigen, dass ein positives Mindset tatsächlich Berge versetzen kann”
Im Rahmen unseres Zuversichtsindex 2025, der am 9. April 2025 erschien, wollten wir von über 300 Führungskräften in der DACH-Region wissen, wie zuversichtlich sie in die Zukunft blicken. Mit ausgewählten Akteuren gingen wir tiefer ins Gespräch. So auch mit Torsten Leue, Vorstandsvorsitzender der Talanx Gruppe. Als CEO versteht er sich als “Chief Energy Officer”, der sein Umfeld motiviert und inspiriert. Zuversicht zu wecken hat er damit bei einer der größten Versicherungsgruppen Europas zu einer seiner zentralen Aufgaben gemacht.

JNW: Herr Leue, wie bewerten Sie die aktuelle Stimmungslage in Deutschland? Wie beeinflusst sie Sie bei der Talanx?
Torsten Leue: Die aktuelle Stimmung in Deutschland ist von verschiedenen Herausforderungen geprägt: Vielen Menschen geht es wirtschaftlich gut. Demographische Herausforderungen, Fachkräftemangel, stagnierende Digitalisierung und hohe Bürokratie sowie negative wirtschaftliche Perspektiven trüben die Stimmung insgesamt jedoch ein.
Hinzu kommen die Auswirkungen einer höheren Inflation, geopolitische Unsicherheiten, Veränderungen in der globalen Außen- und Sicherheitspolitik und die Angst, eine lange Jahre gut funktionierende Weltordnung könnte ins Wanken geraten. All das dämpft die Wirtschaftsentwicklung und die Stimmung im Land.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Wirtschaft zur Hälfte Psychologie ist. Es ist wichtig, sich von dieser negativen Stimmung nicht vereinnahmen zu lassen. Denn es gibt durchaus positive Signale: Bildung und Forschung sind unsere Stärken in Deutschland, das zeigt sich insbesondere in der hohen Zahl der Patentanmeldungen, die übrigens in der jüngsten Vergangenheit von Jahr zu Jahr weiter gestiegen ist.
“KPIs haben Grenzen. Es kommt immer mehr auf das Erkennen von schwachen Signalen an – frühe Indikatoren für Veränderungen und Trends.”
Hoffnung schöpfe ich aufgrund der im vergangenen Jahr gestiegenen Investitionen in deutsche Start-ups, was den etwas steigenden Glauben an den Innovationsstandort Deutschland unterstreicht. Am Ende geht es um das richtige Mindset in Deutschland.
Ich bin überzeugt, dass in unserer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen (VUCA) Welt die Zuversicht eine Schlüsselemotion ist, um die vielfältigen Herausforderungen zu meistern. Studien zeigen, dass ein positives Mindset tatsächlich Berge versetzen kann, da es die Motivation und das Durchhaltevermögen stärkt.
JNW: Viele Führungskräfte verfallen in Krisenzeiten in alte Muster. Sie führen durch Druck und KPIs und fokussieren sich auf kurzfristige Ziele. Wie führst du persönlich in schwierigen Zeiten (menschen- oder zahlenorientiert)? Welchen Rat gibst du deinen Führungskräften mit – worauf sollen sie achten?
Torsten Leue: In Krisenzeiten in alte Muster des “Command and Control” zu verfallen, halte ich für ungeeignet, um aktuelle Herausforderungen zu meistern. Solche Ansätze ersticken Innovation.
Entscheidend ist heute die Innovationsfreude und diese fördern wir, indem Führungskräfte auf Vertrauen statt Kontrolle setzen – auf “Sense and Response” statt “Command and Control”. Der Blick auf KPIs ist wichtig, aber ich führe eher menschenorientiert. Es sind Menschen, die KPIs interpretieren, in eine Strategie übersetzen, und diese umsetzen.
KPIs haben zudem ihre Grenzen. Es kommt immer mehr auf das Erkennen von schwachen Signalen an – frühe Indikatoren für Veränderungen und Trends. Solche Indikatoren zu erkennen und sich «trauen», auf sie zu setzen, das geht nur mit einer offenen Kultur, in der Menschen gemeinsame Ziele erreichen und gestalten wollen.
Nur wenn Menschen empowert werden, wachsen sie über sich hinaus, arbeiten gut im Team und führen das Unternehmen zum Erfolg. Eine solche Verantwortungskultur kann nicht verordnet werden; sie entsteht durch Vertrauen, offenes Feedback und gemeinsames Wachsen an Herausforderungen. Genau dazu rate ich meinen Führungskräften.
JNW: Wenn ein Unternehmen sich aufgrund der aktuellen Veränderung grundlegend verändern muss – sei es durch technologische Disruption oder neue Geschäftsmodelle – wo würden Sie ansetzen? Erst an der Strategie oder zuerst an der Kultur?
Torsten Leue: Für mich ist Kultur Strategie – sie bestimmt, wie ein Unternehmen Veränderungen annimmt und umsetzt. Sie ist Grundlage der Transformation – ohne Kultur bleibt die Strategie graue Theorie. Technologische Disruptionen oder neue Geschäftsmodelle gelingen nur, wenn die Menschen den Wandel aktiv mitgestalten.
Deshalb setze ich auf eine leistungsorientierte Kultur, die auf Vertrauen basiert: Wir leben unsere TEC-Werte Transparency, Engagement und Collaboration. Diese gemeinsamen Werte bilden die Basis für eine strategische Neuausrichtung. Wer Veränderung als Chance sieht, treibt Innovationen mit Überzeugung voran.
“Wer sich sicher fühlt,
blickt mit Zuversicht in die Zukunft.”
JNW: Nicht nur Mitarbeitende, sondern auch Kunden sind verunsichert – ob durch steigende Beiträge oder wirtschaftliche Unsicherheit. Wie gelingt es Ihnen, auch extern Vertrauen und Zuversicht in Ihre Marke zu erhalten?
Torsten Leue: In Zeiten von Unsicherheit sehnen sich Menschen ganz besonders nach Sicherheit – und Sicherheit ist als Versicherer unser Kerngeschäft. Wer sich sicher fühlt, blickt mit Zuversicht in die Zukunft. Wir sind ein purposegetriebenes Unternehmen und Kundenorientierung steckt in unserer DNA, denn wir wurden 1903 von Kunden für Kunden gegründet.
Für uns zählt das Miteinander im Sinne unserer Kundschaft, nämlich “together we take care of the unexpected and foster entrepreneurship”. Unsere Unternehmenskultur ist geprägt durch Vertrauen und basiert auf den Werten Transparenz, Engagement und Kollaboration. Diese Werte sind sowohl intern als auch im täglichen Umgang mit unseren Kundinnen und Kunden spürbar.
JNW: Führungskräfte stehen oft unter immensem Druck. Was tun Sie persönlich, um in herausfordernden Zeiten Ihre eigene mentale Widerstandsfähigkeit zu bewahren und nicht in eine Negativspirale zu geraten?
Torsten Leue: Als CEO sehe ich mich oft als Chief Energy Officer. Ich muss mit gutem Beispiel vorangehen. Ich treibe regelmäßig Sport, ernähre mich gesund und achte auf meine mentale Stärke. Letztens habe ich mich mit einem Experten für Longevity ausgetauscht, ihn in unseren Vorstand eingeladen und das Gespräch mit meiner LinkedIn-Community geteilt, um dieses Wissen zu verbreiten.
Ich sehe, wenn mein Vertrauen dazu führt, außergewöhnliche Leistungen zu erzielen. Aus Erfolgen ziehe ich viel Energie. Darüber hinaus ist mir wichtig, den Fokus bewusst auf Positives, auf Chancen zu lenken. Nur wer Chancen erkennt, kann sie ergreifen.
“Das ist uns in der Vergangenheit oft gelungen. Warum nicht auch jetzt?”
JNW: Mit Blick auf die Zukunft – sowohl Ihres Unternehmens als auch unserer Gesellschaft – was stimmt Sie zuversichtlich?
Torsten Leue: Ich sehe viele Menschen, die sich sehr engagiert für die Zukunft einsetzen – in der Wirtschaft und in der Gesellschaft. Meine Kolleginnen und Kollegen aus der Talanx Gruppe zum Beispiel unterstützen Menschen und Unternehmen dabei, resilienter gegen Naturkatastrophen zu werden, wir versichern und ermöglichen damit die Forschung zur Heilung von Krebs und Pandemien oder begleiten unsere Industriekunden bei ihrer Transformation, bei der Entwicklung von Innovationen.
Es macht uns stolz, aktiv an einer besseren Zukunft mitzuwirken. Das anpackende Mindset und die Verantwortungskultur ist es, die mich zuversichtlich stimmen. Wir müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass wir genau dies in unserer Gesellschaft hochskalieren. Das ist uns in der Vergangenheit oft gelungen. Warum nicht auch jetzt?
ÜBER Torsten leue
Torsten Leue ist seit 2018 Vorstandsvorsitzender der Talanx AG, einer der größten Versicherungsgruppen Europas. Unter seiner Führung setzt das Unternehmen verstärkt auf Kundennähe, Innovation und Nachhaltigkeit. Mit langjähriger Erfahrung in der Versicherungsbranche und einer klaren Vision für die Zukunft treibt Leue die Transformation der Talanx Gruppe voran. Sein Führungsstil ist geprägt von Vertrauen, Engagement und einer starken Verantwortungskultur.