Interview von Wolfgang Jenewein im manager magazin.
Als Experte für Leadership hat Wirtschaftsprofessor Wolfgang Jenewein (53) stets auch einen besonderen Blick auf die Neuausrichtung des VW-Konzerns. Der Führungsebene stand er im Transformationsprozess als externer Berater zur Seite. In dieser Zeit gewann er besondere Einblicke in den Konzern – der Wechsel an der Spitze des Autoherstellers kommt für ihn nicht überraschend.
Reich: Herr Jenewein, der scheidende VW-Chef Herbert Diess (63) war bekannt dafür, scharfe Fragen zu formulieren und am Konzern zu rütteln, um Dinge voranzutreiben. Hat er sich damit zu viele Gegner geschaffen?
Jenewein: Sicher war der Umgang mit Diess kein leichter, oft fehlte es ihm an Empathie. Es ist Diess nicht gelungen, eine Speak-up-Mentalität zu etablieren, gewiss hatten auch einige Mitarbeiter Angst vor ihm. Wer damit leben konnte, dass man keine große Wertschätzung von ihm erfahren hat, konnte mit ihm ein gutes Auskommen haben und intensive, produktive Gespräche führen. Wer da jedoch nicht drüber hinwegkam, der hat das Verhalten des Chefs oft als Affront empfunden.
Reich: War Diess der richtige Mann zur richtigen Zeit, um etwas zu verändern?
Jenewein: Ja, in diesem Konzern mit dem hohen Veränderungsdruck auf dem Weg zur Elektromobilität und zu mehr Nachhaltigkeit war er genau der richtige Chef. Denn nur mit Empathie wäre man in diesem Umfeld nicht weitergekommen. Da brauchte es schon jemanden, der analytisch brillant und zugleich tough genug ist.
Reich: Was hat er damit bewirken können?
Jenewein: Er hat mir gerne das Beispiel erzählt, dass ein Kaffee am Besprechungstisch bei VW rund 60 Euro kostet – mit all den Genehmigungen und Verfahren, die dafür notwendig werden. Und das galt natürlich auch im Großen. Hier hat er viele Synergien im Konzern gehoben und Dinge vereinfacht. Außerdem ist es ihm gelungen, den mächtigen Betriebsrat ein Stück weit zurückzudrängen und dadurch unternehmerische Freiheiten für die Restrukturierungsmaßnahmen zu gewinnen.
Reich: Ohne Konsens mit den Beschäftigten geht bei VW langfristig wenig. Kommt die Ablösung nun zum richtigen Zeitpunkt?
Jenewein: Diess ist viele mutige Wege erfolgreich gegangen. Oft gab es jedoch auch interne Abwehrkräfte wie zuletzt bei der Software Cariad , das Durchregieren ist am Ende problematisch geworden. Der Konzern hat sich zunehmend nach mehr Empathie, nach einer integrativen Kraft gesehnt. Insofern war es gewissermaßen ein Abschied auf Raten – und jetzt ist wirklich der richtige Zeitpunkt.
Reich: Nun kommt Oliver Blume (54) von Porsche, ist das auch ein Kulturwechsel?
Jenewein: Blume ist deutlich integrativer, und er ist ein bescheidener Chef. Er ist aber zugleich auch jemand, der sehr ambitioniert ist und hohe Ziele hat. Sicherlich ist er nicht so kantig wie Diess, doch das wird dem Konzern guttun, denn ihm gelingt es viel eher, die Menschen hinter sich zu bringen. Doch auch Blume wird Fehler machen in einem Unternehmen mit 660.000 Menschen, mit so vielen verschiedenen Marken, mit der Transformation vor der Brust, dazu der Krieg, der Rohstoffmangel und die Inflation. Das ist fehlerfrei nicht machbar, da sollten alle Beteiligten ein wenig mehr Geduld zeigen.
Reich: Fast parallel zur Bekanntgabe Blumes als Nachfolger von Diess wurde eine Rede veröffentlicht, in der Blume fast damit prahlte, dass er als Porsche-Chef eine hohe informative Nähe zu Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte. Das sorgte für viel Kritik.
Jenewein: Das war sicherlich unglücklich und nicht hilfreich für den Start. Doch solange damit keine Compliance-Probleme verbunden sind, wird Blume das wegstecken. Grundsätzlich ist ein intensiver Austausch zwischen Politik und Wirtschaft ja nicht verwerflich.
Reich: Diess war in den sozialen Medien sehr aktiv, Blume ist das nicht. Könnte das zu einem Problem werden?
Jenewein: Das ist eine große Diskussion im Management. Denn einerseits hat diese Art der Kommunikation schon einen guten Effekt gegenüber Kunden und auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern. Wenn man das loyal dem Konzern und der Aufgabe gegenüber macht, ist das schon hilfreich. Doch man sollte aufpassen, dass das Ganze nicht zu einer Personality-Show wird und die Person nicht größer wird als das Unternehmen oder die Marke – das ist ein schmaler Grat. Blume geht es vor allem um die Sache und um seine Vision. Er wird sicherlich genau überlegen, welchen Weg er hier einschlagen wird, um nicht als Kommunikationsmuffel wahrgenommen zu werden.
Reich: Was erwarten Sie von ihm im Zusammenspiel mit dem VW-Betriebsrat?
Jenewein: Mit Daniela Cavallo (47) führt eine Person den VW-Betriebsrat, die für mehr Miteinander steht. Daher wird ein Teamplayer wie Oliver Blume hier eher einen Schulterschluss finden – mit ihrem Vorgänger Bernd Osterloh wäre das schwieriger geworden.